21.07.2013

"Find your flow in Finland" - WOC 2013 in Vuokatti

von Sieglinde Kundisch

Das war sie nun, meine zweite WM, diesmal in Finnland. Es war genial, eine wirklich gute Woche, abwechslungsreiches und spannendes Gelände, viele bekannte Gesicher, Badesee vorm Hotel, all-you-can-eat-all-day-long im Hotel, Sonne satt auch nachts, "livestream" der Fehler auch der ganz Großen, ein gutes Team, nimmermüde Trainer, finnischer Sommer.

Ich liebe Finnland und ich habe ein Jahr lang davon geträumt, zu dieser WM zu fahren. Klar, das erste Ziel war es, die Quali zu schaffen, sprich einen Quali-Lauf zu gewinnen und natürlich die Bahnzeit zu schaffen. Dann stand mindestens ein A-Finale auf dem Plan. Tja, ich wußte nur nicht, das alles ganz schnell wie eine Seifenblase zerplatzen kann durch eine kaum merkliche Verletzung. Es begann im Januar und es zog sich Wochen hin. Am Ende wurde eine Stressfraktur vermutet und Laufverbot erteilt. Ich sattelte um auf Schwimmen, Inlineskates fahren und Spinning. Mir fiel auf, dass ich noch nie in meiner 20jährigen OL-Karriere eine Laufpause hatte. Es gab mal eine Woche oder zwei wegen Erkältung oder Schmerzen im Fuß, aber anderthalb Monate? Es war kein Spaß und meine Motivation sank. Wenn das Lauftraining wegfällt, fällt automatisch auch das O-Training weg (wenn man nicht clevererweise "Catching Features" spielt).

Ich kämpfte weiter, verzichtete auf TLs und erste Wettkämpfe der Saison, begann dann mit "offenen Bahnen", stellte mich komplett quer im Wald (und das im Mai!), begann irgendwie wieder von vorn und reiste zur Quali nach Altenberg. Nachdem der Lauf am Samstag komplett schief lief und ich mich innerlich nun wirklich von der WM verabschiedet hatte, lief es am Sonntag gut, der Flow eben und ich gewann (die Qualiwertung). Wie und was genau passierte und dazu führte, das der Samstaglauf total daneben ging, der am Sonntag aber gut lief, weiß ich nicht. Als Kader lernt man seine Fehler zu analysieren, zu hinterfragen was lief schief und warum. Hat man einen guten Trainer lernt man auch zu hinterfragen "warum lief es heute gut?", "wieso habe ich diesen schwierigen Posten gut gefunden?" usw. Ich habe es hinterfragt und weiß es nicht. Der Lauf am Sonntag lief einfach gut und ein paar Tage später ging es ins TL nach Vuokatti, Vorbereitung direkt vor Ort. Das TL war sehr gut, es brachte mich läuferisch und o-technisch in richtig gute Form.

Vom 07. bis 14.07. fand nun die WM in Vuokatti statt. Dank Trainerentscheid durften auch Bjarne Friedrichs und ich mitfahren, Hintergedanke war auch, dass wir für nächstes Jahr Punkte sammeln mussten. Ab 2014 gibt es ein neues System bei der OL-WM. Nur die acht besten Nationen (plus die Ausrichternation) dürfen drei Läufer pro Disziplin stellen, die folgenden 14 Nationen dürfen zwei Läufer stellen, die anderen einen. Unser Ziel war es also, diesen 22. Platz (oder besser) zu erreichen. Vor dieser WM lagen wir auf dem 22. bei den Damen und auf dem 23. bei den Herren. Die gute Nachricht vorweg - wir haben es geschafft (die Herren sind auf Platz 21, die Damen auf 22.) Die schwierige Nachricht - das System funktioniert so, dass die schlechtesten Nationen einer Kategorie ab- und die besten jeweils aufsteigen, sprich nächstes Jahr wird es richtig hart für uns.

Zurück zur diesjährigen WM. Es begann mit der Langdistanz-Quali. Wir hatten in wunderschön offenen, autobahngleich gefegten Kiefernwäldern trainiert. Gut für extrem hohes Tempo, wenige Höhen, gute Sicht, aber auch schneller Wechsel in Junganpflanzungen mit guter Belaufbarkeit aber schlechter Sicht sowie in Sumpfpartien. Dazu ein paar offene Flächen, alles in allem aber schnell. Die Streckenlängen war auch nicht besonders lang (8,5 km für die Frauen und 12,5 km für die Männer). Ein warmer Sommertag, Start mit Minna Kauppi (FIN) und Anna Serrallonga (ESP) und so schnell ging es auch los. Zwei einfache Posten zu Beginn, hohes Tempo und - zack - da leuchtete der erwartete lange Schlag auf der Karte auf. Die Route war schnell gewählt, so direkt wie möglich, aber an Leitlinien entlang. Dazwischen viel gelb, offene Flächen, gegen Ende ein paar Pfade, guter Attackpoint zum Posten. Auf dieser langen Strecke begann es, anstrengend zu werden, ich merkte, dass meine Kraft nicht reichte, ich wollte das Tempo hochhalten, aber es kostete zuviel Energie. Die unschöne Überraschung - da wir zu dem EMIT-Chip auch einen EMIT-Tag am Arm tragen mussten (zur Zielzeitnahme) saß meine Postenbeschreibungshalterung nicht da wo sie immer war und ich verlor die Postenbeschreibung. Natürlich steht das ganze auch auf der Karte, aber 12x auffalten ist eben 12x extra auffalten der Karte. Irgendwo da auf der langen Strecke flog die Russin Tatiana Ryabkina an mir vorbei. Ich sage "flog" weil es sich so anfühlte. Es wurde auch nicht besser und statt durch leergefegte Kiefernwälder zu pacen, kämpfte man sich durch unaufgeräumten Wald und offene Neuanpflanzungen mit null Sicht. Die Hitze tat ihr übrigens und Fehler ergaben sich meinerseits allein aus der Erschöpfung. Auch das weltberühmte weiß-rote Trikot kam und ging, ehe es nach zahlreichen Wechseln zwischen Dickicht, offen, versteckt und wieder offen in den Kiefernwald ging. Die letzten paar hundert Meter ging es bergab, dem Sprecher und den Photographen entgegen, über eine Brücke und unter den Anfeuerrufen der Menge noch einmal schön bergauf ins Ziel.

Ich wusste um meine Fehler, aber auch das es recht gut gelaufen war dazwischen. Die Zeit reichte aber nicht, auch wenn es kaum eine Minute war zum 15. Platz. Platz 16 bedeutet Mitleidsbekundungen, aber auch zu wissen, das es geht - mit besserer Vorbereitung - und das es auf jeden Fall besser war als letztes Jahr. Auch für die anderen beiden Damen - Christiane Tröße und Esther Doetsch - reichte es nicht. Bei den Herren hatte es Sören Lösch geschafft. Eindrucksvoll und auch, das er nun die 20km laufen dürfen sollte.

Der Montag war für uns offiziell ein Ruhetag, aber der Sprint (Quali und Finale) stand ja an, sowie die Eröffnung am Nachmittag. Zudem hatten wir Alex Lubina und Christoph Prunsche am Start, also zogen wir los und verfolgten die beiden Rennen als Zuschauer. Wieder einmal sollte sich dies als anstrengender als ein Racetag herausstellen. Am Dienstag wurde es aber nur für Sören ernst, während wir anderen noch einmal trainieren konnten bevor wir sein Rennen - und das der ganz Großen - verfolgten. Natürlich war es spannend, direkt vor Ort, mit dem Publikum und via Großbildleinwand das Rennen zu verfolgen, aber es ging fast genauso gut in der Hotellobby und via finnisches Fernsehen. Dazu konnte man Obstsalat futtern und Kekse knabbern, damit man die halbe Stunde Pause zwischen Mittag- und Abendessen auch gut überstehen würde (was soll ich sagen, die Verpflegung im Sporthotel ließ nichts zu wünschen übrig).

Mittwoch war Ruhetag für alle und wir verließen für einmal Vuokatti Richtung Kajaani, der "Großstadt". Das Ziel der Jungs war es Banquettkleidung zu finden, wir Damen mussten uns also für anderthalb Stunden anderweitige Beschäftigung suchen, die in den Kauf und die Vorbereitung von Postkarten für die "Top 10"-Unterstützer resultierte. Alles in allem war klar, dass man da oben in Nordostfinnland der WOC nicht entkommen konnte. Es gab einfach kein "anders und weg" als eben Wald, Seen, wieder Wald, ein paar Ferienhütten, der Supermarkt, das Sporthotel und noch mehr Wald.

Am Donnerstag ging es endlich weiter, die Mitteldistanz-Quali stand an. Wir wußten was kam - oder auch nicht. Wir ahnten was kam, passt wohl besser. Jan Birnstock (unser Trainer) fasste es so zusammen: "Seid auf Überraschungen gefasst". Wir ahnten also, dass das Gelände deutlich anspruchsvoller, steiniger, schwerer belaufbar, steiler, mit schlechterer Sicht und noch steiniger werden sollte. Und hatten recht damit. Natürlich macht das auch das Orientieren schwierig. Wie schwierig und das gleich zu Beginn, das wußten wir nicht. Man hätte es anhand der Karte erahnen können, aber auch dazu gehört üben, üben, üben. Mir fehlte dieser Blick. Mir fehlte auch die Coolness, um genau das zu machen, was ich vorhatte. Was ich bei dieser WM (schmerzhaft) gelernt habe, ist, das ich einen Plan mit einem guten Attackpoint haben muss. Ohne eine gut geplante Route zwischen den Posten konnte man hier nicht loslaufen. Einfach Kompass und drauflos ging auch nicht, sich wieder einlesen (Relocation) war extrem schwer. Ich hatte einen guten Plan zum ersten, aber es sollte nicht sein. Es lag wohl an der Aufregung, die darin resultierte, dass ich schnell sein wollte, obwohl ich wusste, "schnell" funktioniert hier nicht. Nur Fehler vermeiden funktionierte. Das Lauftempo musste an das Orientieren angepasst werden, Stop-and-Go war erlaubt und manchmal erste Wahl. Aber ich war zurück in der alten Denkweise "gerade aus geht auch, werde es schon finden". Es ging nicht auf, schlimmer noch, es ging voll daneben, das GPS offenbart einen noch größeren Irrtum als gedacht, kein Wunder das sich-wieder-einlesen unmöglich war. Erst "rauslaufen" (also hin zu einem klaren Auffangpunkt) funktionierte und schlußendlich fand ich den Posten. Natürlich gewinnt man bei einer Suchzeit von mehreren Minuten schnell die Erkenntnis "das war's". Es ist nicht leicht, dann nicht aufzugeben und ehrlich gesagt war eine Sache die mir half, die, das auch meine Mitstarterin und spätere Starter hier und da planlos herumkreuzten. Es war nicht alles verloren und wirklich aufgeben gibt es in meiner OL-Welt nicht. Irgendwann stand der Posten endlich vor mir, auch der Weg zum zweiten war gut geplant, funktionierte aber auch nicht. Aus einem anderen Grund. Einer unserer Erkenntnisse war die, das Kulturgrenzen prima Leitlinien sind. Eine dieser wollte ich nutzen, überlief sie aber, da eben nicht alle Kulturgrenzen in diesem Wald prima Leitlinien waren, vor allem wenn es sich nur darum handelte, dass aus weniger dicht stehenden Fichten dichter stehende Fichten wurden. Und das, wenn man seine Augen auf dem Waldboden hat, zwecks dem nicht-stolpern. Auch am zweiten Posten suchten die Läuferinnen, ich lief einfach nur, aufgegeben, ins A-Finale zu kommen hatte ich da wohl schon, aber bis Platz 20 holte man Punkte für die Nationenwertung und das ließ mich wohl einfach weiterlaufen. Der dritte Posten schien einfacher zu sein und war es endlich auch. Lange Verbindung zum vierten, Passage durch den Sumpf, schlecht belaufbar, wenig überraschend. Aber plötzlich lief es, ab dem zweiten Posten lief es, es war wie im "Flow", wenn auch recht langsam, dafür doch sicher und ich wußte jederzeit exakt wo ich war. Meine Pläne gingen auf, die Objekte ließen sich im Laufen mitlesen und so war mein erstes Gefühl im Ziel doch positiv.

Die Stimmung im Ziel und die Spannung, ob es andere im Team schaffen, hielt meine Stimmung hoch und die Freude war groß, als Christiane und Christoph Prunsche es schafften. Die bittere Erkenntnis, wie selbstzerstörerisch ich mich noch vor dem ersten Posten aus dem Rennen katapultiert hatte und wie alles möglich gewesen wäre, trotz Laufpause, Verletzung, mangelnder Vorbereitung, das alles kam später, am Nachmittag und Abend und ließ mich nur schwer einschlafen. Egal was die Vereinskameraden später sagen, die Freunde und Eltern, man selbst macht sich das Leben am meisten zur Hölle. Man sollte sich jedoch nicht allzu lange damit aufhalten und trotz allem das Gute in dem Lauf finden (und davon hatte ich hier ja genug - mit einem stabilen Lauf ab dem zweiten Posten und einer besseren Platzierung als im Vorjahr) und auch die Lehren daraus ziehen. Manchmal ist es eben so, dass man Dinge tausendmal hören kann und sich selbst sagen, aber am Ende lernt man erst aus der bitteren Erfahrung.

Das Finale fand am nächsten Tag statt, auf gleicher Karte wie die anschließende Staffel. Wieder war es spannend zuzuschauen, vor allem da sich bei den Herren eine Neusortierung anbahnte, da selbst "Mr. Middledistance Himself" Thierry Guiergiou Fehler unterliefen. Es gewann völlig überraschend für alle Anwesenden inklusive ihm selbst der Russe Leonid Novikov. Thierry fehlten die Worte im Ziel, aber er fand sie später - "Ich machte einen Fehler am zweiten und wußte ich musste etwas schneller laufen, was ich dann auch tat, aber es reichte nicht und ich war auch nicht im Flow." Nur um das klarzustellen - Thierry läuft in einer komplett anderen Liga als wir. "Schneller zu laufen" nach einem Fehler ist das letzte was man tun sollte, wenn man eben nicht mehrfacher Weltmeister in dieser Disziplin ist. Selbst Minna Kauppi lief so nur von Fehler zu Fehler. Nach einem Fehler heißt es "Tempo rausnehmen, genau die Karte lesen, genau laufen, auf den Kompass achten" und immer wieder Karte und Kompass kontrollieren, nichts anderes. Dann kommt man auch zurück in einen guten Lauf und macht das ganze nicht schlimmer durch Folgefehler. Thierrys Aussage kam etwas überraschend, aber es zeigt auch, das er schneller laufen kann als er es tut, sprich: je nach Gelände und Schwierigkeit kann jemand wie er seine Geschwindigkeit anpassen, denn diese sollte sich immer nach der Orientierungsgeschwindigkeit richten, nicht andersherum.

Unser letzter Tag und die Staffel folgten. Es war bewölkt, etwas kühler als viele Tage zuvor und somit optimale Bedingungen. Wir verbrachten die meiste Zeit in der Quarantäne, hundert Meter hinter der Leinwand aber in Hörweite der Sprecher. Die Herren starteten zuerst. Wir wußten nur: es geht zuerst bergan und bald auch, dass Fehler unvermeidbar sein würden. Die Laufreihenfolge wurde einmal komplett durchgemischt, die Spannung im Publikum stieg und die Favoriten waren bald keine Favoriten mehr. Leonid Novikov stand ein zweites Mal ganz oben auf dem Treppchen, diesmal mit einem Lächeln auf den Lippen. Wir saßen derweil auf einer 50x50 m großen Wiese, schauten den ersten, zweiten und dritten Läufern zu, und wieder den ersten, zweiten, ach ja und dann durfte auch ich. Die Zeit verging schleppend, die Berichte aus dem Wald waren spärlich und irgendwie sank die Anspannung. Endlich im Wechsel angekommen, studierte ich fleißig die Bilder aus dem Wald auf der Großbildleinwand, jedoch ohne im Nachhinein wirklich Vorteile daraus gewonnen zu haben. Christiane kam und ich durfte los. Die Beine schienen wieder locker, es gab ein paar hundert Meter zum Laufen, dann die Karte, dann ging es bergauf. Ja, es ging nur, besser man kraxelte, bevor irgendwo die ersten Posten in kleinen Tälchen standen. Langer Schlag zum zweiten und als die Stimme des Sprechers versiegte, war irgendwie klar, dass ich ganz allein sein würde. Zum zweiten Posten abgedriftet, aufgefangen, Route geändert aber ohne richtigen Attackpoint rein und Kartenkontakt verloren. Einlesen funktionierte beim besten Willen nicht, soviele Details wie hier im Wald fand ich auf der Karte nicht. Das Notfallsystem sprang an und ich lief raus, am Hang hoch und - siehe da - der Posten stand vor mir. Das sind die Momente weshalb wir uns "viel Glück" wünschen. Läuferin von hinten, vorsichtig zum nächsten und Routenwahl zum vierten, Pfad außenrum und trotz unsicherem Anlaufen den Posten sicher gefunden. Der Rest lief recht gut und überraschend schnell. Endlich konnte ich mit einem Lächeln ins Ziel laufen, wir hatten zumindest unseren 18. Platz gehalten.

Ohne Pause ging es unter die Dusche, zum Abendessen, in die Abendkleider mit Minttu im Glas und durch den Wald zur Party. Drei freie Drinks für jeden versprachen eine lange und gute Party. Für Unterhaltung war auch gesorgt - mit Liveband und den finnischen Männern in Sumoanzügen. Sie kämpften sich im Stil von Teletubbies den Skihang hinter der Partyhütte hoch und kullerten hinab bis innen wortwörtlich die Luft ausging.

Es war eine beeindruckende Woche mit Wettkämpfen auf höchstem Niveau, mit vortrefflichster Verpflegung, einem Sommertraum von Natur ringsum, einem gutem Team und der Weltelite selbst. Ich habe wieder viel gelernt, leider erst bei der Premiere und mit dem Druck einer WM. Aber es macht nur Lust auf mehr und so leicht ließ mich die WM auch nicht los - eine Woche lang kam alles in meinen Träumen zurück, die Leute, die Läufe, die Stimmung. Italien klingt verlockend, mal sehen was aus dem kommenden Jahr wird.

    Lang-Quali - Mittel-Quali - Staffel - Ergebnisse - GPS-Tracking - Vertrackter Track